Brasilien – Ein Land der Zukunft, von Stefan Zweig
Wer sich positiv auf Brasilien einstimmen möchte, sollte zuerst dieses Buch lesen. Stefan Zweigs große Liebeserklärung an dieses Land macht Lust, es selbst zu entdecken. Der Autor (1881–1942) war Europas berühmtester Schriftsteller, ein Sprachgenie ohnegleichen. In finsteren Zeiten des Holocaust floh er von Wien bis nach Rio, wo für ihn die Welt noch in Ordnung schien, fast ein Modell für eine bessere und humanere Zukunft. Ausführlich beschreibt er in teils schwelgerischen Tönen das so friedliche Miteinander der Menschen, die südländische Mentalität der Toleranz und Lebensfreude, die üppige Landschaft der Tropen und die geschichtlichen Hintergründe. Das Ganze liest sich ohne Anstrengung wie ein poetischer Reisebericht, mit nur wenigen Zahlen, ein weitgehend gelungener Versuch, die ewige Essenz eines Landes aufzuspüren. Ein echter Klassiker also, dem das Alter (1941) kaum einen Abbruch tut. – Helmuth Taubald
Gabriela wie Zimt und Nelken, von Jorge Amado
Was gibt es Schöneres, als im Urlaub einen Liebesroman zu lesen, der einem auch noch das Land erklärt? Kein anderer konnte das besser als Jorge Amado (1912–2001), Brasiliens bekanntester Schriftsteller. Sein erfolgreichstes Buch, „Gabriela wie Zimt und Nelken“, erschien 1958, auf Deutsch schon 1962, und wurde schnell zu einem Welt-Bestseller. Die junge, arme und schöne Mulattin Gabriela mit ihrer zimtfarbenen und nach Nelken duftenden Haut repräsentiert für viele das erotische Ideal der „Brasilianerin“ und ist zugleich eine emanzipierte Frau, die sich aus den Fesseln der Ehe löst und frei ihre Körperlichkeit wie die Lust an Sex, Musik und Tanz auslebt. Pablo Neruda lobte den Roman als „ein von Sinnlichkeit und Fröhlichkeit überschäumendes Meisterwerk“. Und um diese vitale Lovestory herum erfährt der Leser auch noch, wie das Leben in der Kleinstadt Ilhéus im Bundesstaat Bahia in den 1920er-Jahren ablief, die Intrigen der Großgrundbesitzer und Kakaobarone, sowie das Geschehen in der heute noch existierenden Bar Vesúvio, wo Gabriela für ihren Chef und Mann als Köchin arbeitete und sich dann wieder befreite. Alles in sehr feinsinnig humorvoller und lockerer Sprache mit einem Augenzwinkern geschrieben, Jorge Amado eben. – Helmuth Taubald
KulturSchock Brasilien, von Carl D. Goerdeler
Nach dem oben empfohlenen Buch von Stefan Zweig folgt nun ein Werk, das uns noch näher an die Gegenwart heranführt. Was erwartet uns auf der Reise? Was ist anders als daheim? Die Reihe bei Reise Know-How heißt „Kulturschock“, ganz so schlimm wird es zu Brasilien nicht, aber vieles ist doch anders, und Fettnäpfchen lauern an jeder Ecke. Es gibt mehrere ähnliche Bücher, doch dieses von Carl D. Goerdeler scheint uns das beste zu sein. Der Autor lebt schon seit Jahrzehnten im Land, hat vorher Politik und Publizistik studiert, war Diplomat in Tokio und Brasilia und schrieb danach für viele Zeitungen und Verlage. Und so erfahren wir aus der Feder dieses Insiders auf 262 Seiten, wie dieses Land tickt und funktioniert. Wie sehen sich die Menschen dort, wie meistern sie das Leben, was glauben sie, wie lieben sie, wie wichtig ist der Körper, wie feiern sie, wovon träumen sie, wie ist es, arm und dunkelhäutig zu sein, wie geht es der indigenen Bevölkerung, was bedeutet den Brasilianern Amazonien usw. Das Buch ist von 2012, aber kaum aktualisierungsbedürftig – Mentalitäten und Identitäten ändern sich so schnell eben nicht. – Helmuth Taubald
Werke von Clarice Lispector
Endlich eine brasilianische Autorin, und gleich eine von Weltruhm. Zum 100. Geburtstag wurde Clarice Lispector (1920–1977) nun im Ausland wiederentdeckt. Gleich zwei Erzählbände mit 84 Geschichten erschienen 2019 und 2020 auf Deutsch, erst „Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau“ und dann „Aber es wird regnen“. Der erste Titel sagt schon viel, wie fast immer geht es um die Psyche brasilianischer Frauen, ihre subjektiven und oft zerrissenen Innenwelten, ihr Hoffen, Wünschen und Scheitern, doch nie resignierend, ein wenig geleitet von der hoffnungsvollen Lebensphilosophie des Existenzialismus. Nur lässt sich die Ausnahmeautorin Lispector nie in ein Schema pressen, zu modern und unkonventionell ist ihr Stil. Und so wurde sie schon zu Lebzeiten zur bedeutendsten Schriftstellerin ihres Landes.
Geboren 1920 in der Ukraine, als Baby schon mit den jüdischen Eltern auf der Flucht nach Brasilien, erst in den Nordosten, dann mit zehn Jahren nach Rio. Das bürgerliche Leben als Juristin, Ehefrau und Mutter machte bald dem Schreiben Platz, unermüdlich schrieb sie zahlreiche Romane und Geschichten. 1977 erschien ihr letzter Roman, ursprünglich unter dem Titel „Die Sternstunde“, auf Deutsch kürzlich neu erschienen unter dem Namen „Der große Augenblick“. Dieses kurze Buch ist eines ihrer besten und auch als Reiselektüre geeignet, denn es vermittelt ein Gefühl für das Leben der einfachen normalen Menschen. Da geht eine arme junge Frau aus Brasiliens Nordosten weg in die große Stadt, nach Rio, und schlägt sich durch. Es ist ein Sozialdrama, traurig zwar und heute noch so aktuell wie damals, doch diese erniedrigte Frau verliert nicht den Mut und die Überlebenskraft, schicksalsergeben zwar, aber vital beißt sie sich durch. Der spätere Film zum Buch gewann sogar in Berlin den Silbernen Bären, seitdem ist Lispector auch im Ausland keine Unbekannte mehr.
Wer nun vielleicht nach Rio kommt, kann sich am Ende des Strandes von Copacabana-Leme neben ihre Bronzefigur setzen. Dort verweilte sie oft und gerne, und jeder Besucher wird ihr Recht geben, es gibt kaum ein schöneres Plätzchen in Rio. – Helmuth Taubald